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Der dritte Mond

Der dritte Mond

 

Sabine vergaß den somnambulen Schwur, aber ihr Körper vergaß ihn nicht. Er übernahm es, sich mir diesem Schwur auseinander zusetzen, ihn zu erfüllen. Er wurde unruhig, mißmutig. Er litt.

Sabine mußte nachgehen, nach und nach ihre Lebensweise verändern und begriff nicht, warum ihr Körper mit einem Male so unumschränkte Gewalt über sie hatte. Er wehrte sich gegen Gewohnheit und Vernunft. Er hatte ein Geheimnis vor ihr.

Anfangs zögerte Sabine vor jeder seiner Launen, lieg es immer wieder auf einen Staatsstreich gegen ihre Konstitution ankommen. Sie würgte eine Speise hinunter, die ihr unbegreiflichen Ekel verursachte, sie zwang sich, den Geruch einer Blume, eines Menschen zu ertragen, der sie schmerzhaft erregte, bis ihr übel wurde und sie sich erbrach. Lange gab sie nicht nach, pochte auf die erprobte Zähigkeit ihres Körpers, widersetzte sich einer vermeintlichen Empfindlichkeit. Sie widerstand befremdlichen Neigungen, kostspieligen Gelüsten des Gaumens oder liederlichen Gelüsten der Phantasie. Aber ihr Körper erpreßte ihr ein Zugeständnis nach dem anderen. Er weigerte sich, die gewohnte Kost zu verdauen, er vernachlässigte seine Funktionen, erschlaffte, wurde unberechenbar, ermüdete jäh, durchkreuzte ihr jede Arbeitseinteilung, trieb seinen Spuk bis zu kleinen, unbeträchtlichen Störungen der Herztätigkeit, bis zu Ohnmachten.

Endlich begriff Sabine: »Ich bin schwanger.«

Segnend faltete sie die Hände über dem Leib, brach in die Knie. Sie wollte weinen vor Glück, aber ihr Mund verzerrte sich mit einem Male, in ihrer Kehle gluckste und kicherte ein rasendes, peinigendes Gelächter, sie biß die Zähne aufeinander, aber es sprengte sie auf, es brach hervor, bis sie in einem Krampf des Lachens vornüber auf ihr Gesicht fiel und die Besinnung verlor.

Die Erinnerung an dieses Gelächter erregte Sabine noch lange, beunruhigte sie und begründete in ihrem Herzen einen häßlichen Verdacht. »Ich habe mich selbst überlistet,« fiel ihr ein, aber ganz ohne jeden Zusammenhang und ohne ihr Gedächtnis auf die rechte Spur zu bringen.

Seit sie ihrer Schwangerschaft gewiß war, verzieh sie ihrem Körper jede Laune, sah sie ihm jede Unregelmäßigkeit nach, bewilligte sie ihm ein eigenes, abtrünniges Leben. Es bereitete ihr ein unbegreifliches Vergnügen, den Widerwillen vor einer Speise, einem Geruch bis aufs äußerste zu treiben, und die Übelkeiten, die sich immer heftiger einstellten, rührten sie bis zu Tränen. Sie fühlte, daß diesen Übelkeiten ein wunderbares Geheimnis innewohnte, das ihrem Leben zu seinem Sinn verhalf, ein erschütterndes Geheimnis, dem sie nicht nachspüren durfte, das sie niemals lösen durfte.

Die Wandlung, die ihr Körper erfuhr, stimmte sie gütiger gegen sich selbst, sie übte Nachsicht an ihren Schwächen, sie fühlte mit einem Male Verpflichtungen gegen sich selbst und begann sich zu verwöhnen. Sie erfand eine eigene, behütsame Zärtlichkeit aus mütterlicher Güte und ärztlicher Fürsorge für sich, bewilligte sich jedes Symptom und enthielt sich jeder Kritik.

Dann fiel ihr ein: »Das Kind!«

 

Wieder versuchte sie das häßliche Gelächter, gellte ihr im Herzen, im Gehirn. Betäubt begriff sie: »Ich werde ein Kind gebären, ein lebendiges Kind. Daran habe ich nicht gedacht. Die Wirklichkeit läßt nicht mit sich spaßen.«

»Ein Kind,« grübelte sie.»Ein Kind ist mehr, als mir zukommt. Ich wollte doch nur schwanger sein. Die Wirklichkeit ist gefährlich. Ich fühle mich doch nicht Mutter, ich fühle mich nur Geliebte. Das albische Abenteuer hat sich zu sehr erfüllt.

Ihr graute: »Vielleicht wuchert mir ein Kobold im Leib, vielleicht hockt mir der Tod unter dem Herzen. Blähen giftige Dünste den Leib auf, muß ich den Mond gebären? Empfing je eine Frau aus einem Traum und ward schwanger wie ich?«

Sie lächelte verstört: »Kind oder Kobold, eins wie das andere ist unwiderlegbar. Das war kein Gesicht. Die Natur läßt sich nicht gespenstisch betrügen.«

Mitten in der Nacht erwachte sie, weil der Mond ihr ins Gesicht schien. Sie erhob sich langsam, beinahe widerwillig, schlich ans Fenster. Dann duckte sie sich, wie zum Sprung, rang nach Worten, lallte und wimmerte. Sie bog sich zurück, bis ihr Leib sich wölbte, betastete ihn begierig mit spitzen Fingern, wiegte sich triumphierend in breiten Hüften. Lautlos begann sie zu lachen.

 

 

 

In: Mela Hartwig, Das Verbrechen, Novelle und Erzählungen. Wien 2004, pp. 69-71

 

 

Mela Hartwig