Die Frau von gestern — die Frau von heute
Vor dem Krieg noch galt jede Frau, die einen selbständigen Beruf ausübte, für ,,emanzipiert”, jede, die gern was lernen wollte, für einen Blaustrumpf und jede, die erotische Abenteuer vor oder außerhalb der Ehe hatte, für unmöglich. Studieren, Unabhängigkeit erstreben war also für ein junges Mädchen fast gleichbedeutend mit Verzicht auf Ehe, Mutterschaft und Einpassung in die bürgerliche Gesellschaft. Besonders den Männer war die gelehrte, selbständige Frau mehr oder minder ein Greuel. Durch all das geriet sie in Trotzstellung, die Männer empfand sie als ihre Feinde, und da man ihr nicht erlauben wollte, gleichzeitig Weib und selbständig zu sein, gab sie mit der Übertriebenheit des Trotzes die Weiblichkeit preis, ganz radikal in Kleidung und Manieren, und es entstand jener unleidliche Typ aggressiver Frauenrechtlerinnen, der jahrzehntelang die Witzblätter füllte und in jener englischen Suffragette kulminierte, die zu Asquith sagte, als er ihre Forderungen ablehnte: ,,Wenn Sie mein Mann wären, würde ich Ihnen Gift geben!”, und der antwortete: ,,Wenn Sie meine Frau wären, würde ich es nehmen.”
Dann kam der Krieg, das Leben zwang Tausende Frauen, ganz ohne Theorie, ganz ohne Programm, Berufe zu erlernen, Geld zu verdienen, selbständig zu sein. Dann kam eine Zeit, da es schwer war wie nie zuvor, einen Hausstand zu gründen, und da Tausende aus dem Krieg heimgekehrten Männer das Verlangen nach einem Hausstand hatten wie nie zuvor. Nun war es mit einemmal gut, daß die Frauen was gelernt hatten, dass sie mitverdienen konnten, gerade so brauchte man sie jetzt wie sie geworden waren: ernster, selbständiger, kameradschaftlicher.
Heute gibt es keine Alternative mehr zwischen Beruf und Ehe, Selbständigkeit und Mutterschaft. Wenigstens keine prinzipielle. Je nachdem die Verhältnisse sich gestalten, gibt die Berufsfrau ihre Tätigkeit auf und widmet sich dem Haushalt, oder greift die Ehefrau, die Familie vor drohender Verarmung zu schützen, zurück zum Beruf ihrer Mädchenzeit. Frauen, die Freude und Erfolg in ihrer Arbeit finden müssen darum keineswegs dem Glück der Mutterschaft entsagen: längst ist bewiesen, daß sie daneben mehr Zeit und Aufmerksamkeit für ihre Kinder finden als die meisten Modedamen, die ihre Vormittage bei der Schneiderin und ihre Nachmittage in Gesellschaft verbringen. Außerdem gibt die Berufsfrau den Kindern ein besseres Beispiel, was bekanntlich der wichtigste Faktor jeder Erziehung ist.
Und siehe — seit die Männer sich mit der selbständigen Frau abgefunden haben, ist sie gar nicht mehr unweiblich. Sie ist genauso gerne hübsch angezogen wie die Nichts-als-Gattin, sie geht mit gepuderter Nase und geschminkten Lippen ins Bureau oder an die Universität, und so oft als möglich in die Tanzdiele. Sie hat keine Attribute der Männlichkeit nötig, und wenn sie kurze Haare und kurze Kleider trägt, ist sie bloß praktisch, wie ihre Mutter in ihrer Art für ihre Zeit praktisch war. (Von den Versuchen der Pariser Haute Couture, aus dieser sozial bedingten Entwicklung eine Mode zu machen, sehe ich ab; es waren auch keineswegs die fortgeschrittensten Frauen, die sich in dieser Mode versuchten, sondern die alleruntätigsten Zierpflanzen, dieselben, die nächstes Jahr Krinolinen, Zöpfe und vielleicht sogar Busen tragen werden.)
Oder liegt etwas Männliches darin, daß die Frau von heute beides will: Liebe und Selbständigkeit, Familie und Beruf?
Denn allerdings, gerade dies war bis vor kurzem das entscheidende Privileg der Männer. Aber es ist nur etwas Menschliches. Jeder Mensch hat, klar oder unklar, das Gefühl einer sozialen und einer persönlichen Verpflichtung, das Bedürfnis nach einem Leben innerhalb und außerhalb des Hauses. Weder das eine noch das andere allein kann ihn befriedigen. Eine Frau, die nichts hat als ihren Beruf, wird verdorren und vereinsamen, und eine Frau, deren Leben einzig und allein auf ihr Frauentum gestellt ist, wird — auch dann, wenn dieses Frauentum sich nicht in Putz und Unterhaltung erschöpft, sondern, in edlerem Sinn, Liebe zu Mann und Kindern beinhaltet — geistig verarmen und veröden. Sie wird sich aus den treibenden Kräften der Welt ausgeschaltet fühlen und oft vom Grauen gepackt werden, alles auf eine einzige Karte gesetzt zu haben. Denn Männer sind wandelbar, und Kinder entwachsen der Mutter. Es ist furchtbar gefährlich, sein Leben ausschließlich in andern zu verankern. Es ist auch für die andern meist eine unerträgliche Belastung. Wenn die Bande der Liebe auch die schönsten sind, sie dürfen nicht die einzigen sein, die den Menschen der Welt verketten.
Ob die Frau von gestern, die ihre häusliche Begrenztheit für unumstößlich hielt, die weniger Freiheiten, aber auch weit mehr Bequemlichkeit und Sorglosigkeit hatte, glücklicher war?
Möglich. Das Glück von gestern ist unerreichbar. Es ist auch möglich, daß die Menschen glücklicher waren, als noch keine Eisenbahn und keine Automobile gab; trotzdem möchte heute niemand mehr mit der Postkutsche fahren.
tratto da
Kaus, Gina: Die Unwiderstehlichen, Kleine Prosa,Oldenburg 2000, pp.197 - 199